Maria Sveland
Bitterfotze

Zum Inhalt
Sara entflieht ohne Mann und Kleinkind dem tristen skandinavischen Winterwetter für eine Woche nach Teneriffa, um Abstand zu gewinnen und in Ruhe nachzudenken. Letztens wurde ihr der Spagat zwischen allen möglichen Ansprüchen zu viel; Ansprüche, die tatsächlich oder gefühlt von Ehepartner, Kind, Eltern, Freunden und Arbeitgebern an sie gestellt wurden.
Wenn sie auch vorgehabt hatte, dem Ganzen für eine Weile zu entrinnen, muss sie feststellen, dass ihre Beobachtungen an anderen Mit-Touristen sie immer wieder auf sich selbst zurückführen...

Meine Meinung
Die Wortneuschöpfung „Bitterfotze“ kreierte Sveland, weil sie ihr geeignet schien, den Zustand einer Frau zu beschreiben, die durch ihre Erziehung, Erfahrungen, Entscheidungen und umgebenden Zustände verbittert (ist). Anhand der Protagonistin Sara führt sie uns vor Augen, welche (häufig auch unausgesprochenen, aber dennoch bewusst empfundenen) Anforderungen an Frauen gestellt werden, die ein Spannungsfeld ergeben, in dem es sich nicht wirklich glücklich leben lässt.

Noch immer bestehen ganz konkrete, über Jahrhunderte gewachsene Vorstellungen darüber, wie eine Frau zu sein, zu entscheiden hat; sei es, dass sie sich für ein Kind entscheidet (ein Schritt, dessen Konsequenzen niemand im Voraus absehen kann – Anmerkungen zu dem Thema füllen ganze Regale), dass sie sich entscheidet, nach der Babypause weiterzuarbeiten oder einfach auch nur einmal eine Woche ohne die Familie wegzufahren, um Atem zu schöpfen.
In jeder dieser Situationen findet sich frau in der Verpflichtung, sich zu rechtfertigen, eine Pflicht, die Männern gar nicht auferlegt wird. Frau kann nur den Kürzeren ziehen, jedenfalls wenn sie es allen recht machen will. Und hier hängt der Hund beim Hammer: Unsere Gesellschaft ist im Wandel, wir alle haben viel mehr Entscheidungsfreiraum als unsere Vorväter und –mütter. Das kann befreien, aber unter Umständen auch lähmen. Wie entscheide ich mich richtig? Was heißt überhaupt „richtig“? Ist richtig, was gesellschaftlich akzeptiert wird oder was sich für mich richtig anfühlt? Muss ich auf Andere Rücksicht nehmen, wenn ja, wie viel, wenn nein, wie lebe ich mit deren Reaktionen? All diese Fragen hätten sich theoretisch den Generationen vor uns auch stellen können und wahrscheinlich haben sie es auch, aber da waren die Antworten viel stärker vorbestimmt und ein Ausbruch aus dem Muster vorgegebener Möglichkeiten war mit Ächtung belegt. Einen Teil dieser Ächtung können Frauen spüren, die Kinder bekommen und „trotzdem“ weiterarbeiten („Rabenmutter!“). Oder Frauen, die keine Kinder bekommen können/wollen (denn die entziehen sich ja angeblich ihrer Verantwortung in Bezug auf den Fortbestand der Art). Oder Frauen, die schon mehrere (Sex)Partner hatten („Schlampe“ – dem gegenüber Männer: „erfolgreich beim anderen Geschlecht“). Oder, oder, oder...
Und da soll man nicht zur Bitterfotze werden?

Zurück zum Buch. Sveland führt hier Saras Urlaubsbeobachtungen, Kindheitserinnerungen und Schilderungen der Zeit um die Geburt ihres Kindes auf, und durchflicht das Ganze mit Gedanken über die vorgeblich bei uns herrschende Gleichberechtigung, die jede (berufstätige) Frau und Mutter nur unterschreiben kann. Es geht ihr dabei nicht um Radikalfeminismus oder ums Aufrechnen 1:1 (das ja ohnehin nicht möglich ist), sondern um die Akzeptanz der Menschen untereinander, um das Respektieren der Wünsche, Gefühle und Entscheidungen der Einzelnen, Männer wie Frauen. Und so schließt das Buch mit einer milden Überraschung, die versöhnlich in die Zukunft schauen lässt.

Lesen.

Erschienen bei
KiWi Paperbacks 2009
TB, 263 Seiten
ISBN 978-3-462-04083-8

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Rezensiert 10.03.2009
© Claudia Heldt. Zuletzt aktualisiert: 26.05.2009